Besteht beim Erbfall keine gewillkürte Nachlassregelung (z.B. mittels Testaments oder Erbvertrags), greift das gesetzliche Erbrecht ein. Als „gesetzliches Leitbild“ bringt dieses allgemeine Gerechtigkeitsvorstellungen und Prinzipien der deutschen Rechtsnachfolgeordnung zum Ausdruck. Das gesetzliche Erbrecht enthält ein umfassendes Regelungssystem, das auch ohne letztwillige Verfügung einen angemessenen Interessenausgleich und eine gerechte Güterverteilung herstellt.
Das Wichtigste in Kürze:
- Wurde keine individuelle Nachlassregelung durch ein Testament getroffen, bleibt der Nachlass nicht ungeregelt; es greift das gesetzliche Erbrecht ein.
- Das gesetzliche Erbrecht sorgt für eine klare und kontinuierliche Zuordnung des Nachlasses.
- Das gesetzliche Erbrecht entspricht als Leitbild bei der Nachlassverteilung in der Gesellschaft gemeinhin anerkannten Vorstellungen.
- Vorrangige gesetzliche Erbinnen und Erben sind die genetischen Verwandten der Erblasserin oder des Erblassers.
- Ihre Rangfolge bestimmt sich nach der sogenannten „Parentel-Ordnung“.
Hat die Erblasserin bzw. der Erblasser keine gewillkürte, also individuell bestimmte Erbfolgeregelung vorgenommen, bedeutet dies mitnichten, dass die Nachlassverteilung ungeregelt bleibt. In solchen Fällen greift vielmehr das gesetzliche Erbrecht ein.
In welchem Verhältnis stehen „gewillkürte“ und „gesetzliche“ Erbfolge?
Gewillkürte Erbfolge bedeutet, dass die Erblasserin oder der Erblassers eine Regelung über die Verteilung des Nachlasses nach den persönlichen Vorstellungen getroffen hat. Dies erfolgt in einem Testament oder einem Erbvertrag. Die sog. „Testierfreiheit“ ist insoweit eine letzte Ausprägung der Freiheit, eigene Vermögensangelegenheiten – auch über den Tod hinaus – selbstständig zu regeln. Das gewillkürte Erbrecht geht dem gesetzlichen Erbrecht grundsätzlich vor. Hat es die Erblasserin oder der Erblasser zu Lebzeiten aber unterlassen, eine formgültige testamentarische Nachlassregelung anzustellen, gelten die Grundsätze der gesetzlichen Erbfolge.
Welchen Zweck verfolgt die gesetzliche Regelung der Erbfolge?
Um das rechtliche Bedürfnis einer verbindlichen Regelung der Erbfolge auch im Falle der Abwesenheit eines Testaments zu verstehen, ist die knappe Auseinandersetzung mit drei Grundbegriffen des deutschen Erbrechts diesem Beitrag vorangestellt: Die „Universalsukzession“, die „Soforterbfolge“ und der „Vonselbst-Erwerb“.
Prinzip der Universalsukzession
Nach dem in § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) normierten Grundsatz der Universalsukzession bzw. Gesamtrechtsnachfolge geht mit dem Tod einer Person (Erbfall) deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere Personen (Erbende) über. Die Erbenden haften gleichzeitig für sämtliche Nachlassverbindlichkeiten. Es gehen also Rechte und Pflichten, Ansprüche und Verbindlichkeiten gleichermaßen auf diese über.
Soforterbfolge- oder Anfallsprinzip
Das Soforterbfolge- bzw. Anfallsprinzip bestimmt, dass der Nachlass als Gesamtheit aller Sachen und Rechte der Erblasserin bzw. des Erblassers ohne Unterbrechung einer oder mehreren Personen zuordenbar sein muss. Für den Rechtsverkehr muss zumindest theoretisch ersichtlich sein, wer am Nachlass berechtigt und aus diesem verpflichtet ist.
Eine ungeklärte rechtliche Zuordnung wäre aus verschiedenen Gründen untragbar: Gläubiger:innen der oder des Verstorbenen haben ein schützenswertes Interesse daran, zu wissen, an wen sie sich fortan wenden können. Ferner soll verhindert werden, dass sich zur Erbfolge unberufene Dritte missbräuchlich der Nachlassgegenstände bemächtigen. Zuletzt soll aus Sicht des Staates ersichtlich sein, wer für den Unterhalt und die Sicherheit von Nachlassgegenständen verantwortlich ist, also z.B. zum Erhalt eines einsturzgefährdeten Hauses behördlich aufgefordert werden kann.
Das Konzept einer „liegenden“, also einer einstweilig ungeregelten Erbschaft, wie es sie z.B. im Römischen Recht gab (sogenannte „hereditas iacens“), ist dem deutschen Erbrecht grundsätzlich fremd.
Grundsatz des „Vonselbst-Erwerbs“
Der Grundsatz des „Vonselbst-Erwerbs“ verschafft dem vorgenannten Prinzip der Soforterbfolge Geltung: Unmittelbar im Zeitpunkt des Erbfalls rücken die Erbenden in die Rechtsstellung der oder des Verstorbenen ein, ohne dass es hierfür ihrer eigenen Mitwirkung oder des Handelns Dritter (z.B. einer Behörde) bedürfte.
Möchte sich eine zur Erbin oder zum Erben berufene Person etwaiger Nachlassverbindlichkeiten entledigen, muss sie daher die bei ihr angefallene Erbschaft aktiv ausschlagen. Dies ist z.B. der Fall, wenn der Erblasser oder die Erblasserin Schulden hinterlassen hat.
„Der König ist tot – lang lebe der König“
Es besteht also ein allgemeines Bedürfnis dafür, auch bei Abwesenheit einer individuellen Nachfolgeregelung, Güter und Lasten des Nachlasses zu verteilen. Vergleichbar mit dem Ausspruch „le roi est mort – vive le roi“ soll hierdurch eine Kontinuität der Zuordnung von Rechten, Pflichten und Gütern zu Personen gewährleistet werden.
Wer erbt im Falle der gesetzlichen Erbfolge?
Die gesetzliche Nachlassverteilung folgt dem (überschaubaren) Normenprogramm der §§ 1924 bis 1936 BGB.
„Das Gut rinnt mit dem Blut“
Diese folgen dem gesellschaftlichen Leitbild, wonach als Erbende in erster Linie Verwandte der oder des Verstorbenen im genetischen Sinne (sog. „cognatische“ Familie) berufen werden sollen. In der deutschen Rechtstradition verdeutlicht dies der Ausspruch: „Das Gut rinnt mit dem Blut“: Die blutsverwandte Familie als Versorgungs- und Verantwortungsgemeinschaft genießt besonderen verfassungsrechtlichen Schutz in Art. 6 Abs. 1 des Deutschen Grundgesetzes und bildet deshalb auch den in Sachen der Rechtsnachfolge vorrangigen Personenkreis.
Dies führt dazu, dass Ehegatten gem. § 1931 BGB und eingetragene Lebenspartner gem. § 10 LPartG lediglich neben den kognatischen Verwandten erben (siehe unten).
In den §§ 1589 ff. regelt das BGB das Recht der Verwandtschaft und der Abstammung. Im Falle der Adoption wird die Verwandtschaft im genetischen Sinne fingiert, also rechtlich angenommen.
Erbfolge nach dem „Parentel“-System
Herrschendes Strukturprinzip der gesetzlichen Erbfolge ist die sog. Parentelordnung. Unter einer Parentel versteht man eine Gruppe von Personen, die ihre gemeinsame Abstammung von der verstorbenen Person vereint. Dabei ist nicht die Nähe nach Graden ausschlaggebend, wie etwa im französischen Recht, sondern die Zahl an Generationen, die bis zur nächsten gemeinsam verwandten Person zurückgegangen werden muss.
- Die erste Gruppe der Parentele umfasst die unmittelbaren Abkömmlinge, also die Kinder der Erblasserin oder des Erblassers.
- Die zweite Parentele umfassen die Eltern sowie deren Abkömmlinge (also Schwestern und Brüder, Neffen und Nichten).
- Die dritte Parentele enthalten die Großeltern und deren Nachkommen (also Tanten und Onkel, Vettern und Cousinen).
Rangordnung der Parentele
Die Parentele werden im Hinblick auf ihre Erbberechtigung in eine bestimmte Rangfolge gebracht. Gemäss § 1930 BGB schließt eine vorangehende Parentelgruppe die ihr nachgeordnete von der Erbfolge aus. Existiert beim Erbfall ein direkter Abkömmling der Erblasserin oder des Erblassers (Erbende der 1. Parentelordnung), so sind alle weiteren Verwandten anderer Parentelordnungen, z.B. lebende Eltern der Erblasserin oder des Erblassers, von der Erbfolge ausgeschlossen.
Kopfteils-, Repräsentations- und Eintrittsprinzip
Innerhalb eines Parentels wird der Nachlass grundsätzlich gleichmäßig unter den Erbenden nach Kopfteilen verteilt.
Hierzu tritt das sog. Repräsentationsprinzip: Lebende Abkömmlinge verdrängen als Repräsentierende ihres Familienstammes alle durch sie mit der Erblasserin oder dem Erblasser verwandten ferneren Abkömmlinge. So erbt zum Beispiel die lebende einzige Tochter einer Erblasserin alleine und verdrängt ihre eigenen Kinder (also die Enkel der Erblasserin) aus der Erbfolge.
Im Falle des Vorversterbens der Kinder der Erblasserin oder des Erblassers treten deren Abkömmlinge in das Erbrecht ihrer Eltern ein (sog. Eintrittsprinzip). Die Enkel der Erblasserin bzw. des Erblassers teilen dann untereinander jenen Erbteil auf, der ihrer Mutter oder ihrem Vater als direktem Abkömmling zugestanden hätte. Unter Kindern und Enkelkindern des Erblassers oder der Erblasserin findet demnach keine Teilung nach Kopfteilen statt. Ist z.B. eines von drei Kindern der (alleinstehenden) Erblasserin vorverstorben und hat dieses wiederum zwei Abkömmlinge hinterlassen, erben diese als Enkel der Erblasserin zu je 1/6 und die übrigen Kinder der Erblasserin zu je 1/3.
Das Repräsentations- und Eintrittsprinzip gilt dabei entsprechend auch für die zweite und dritte Parentelgruppe. Noch lebende Eltern, Geschwister oder Großeltern der Erblasserin schließen also im Erbfall ihre eigenen Abkömmlinge von der Erbfolge aus.
Beispiele des gesetzlichen Erbrechts nach verschiedenen Parentel-Ordnungen
Erbfolge nach der ersten Ordnung bei lebendem Kind
Erblasser A stirbt und hinterlässt zwei Kinder K1 und K2 mit wiederum jeweils zwei Kindern E1–E4. Die zum Erblasser näher verwandten unmittelbaren Abkömmlinge K1 und K2 schließen als Repräsentanten ihres Stammes jeweils ihre Kinder von der Erbfolge aus und erben zu je ½. (Das Erbrecht einer möglicherweise noch lebenden Ehefrau des A wird hier aus Gründen der Übersichtlichkeit noch ausgeklammert und weiter unten behandelt.)
Erbfolge nach der ersten Ordnung bei vorverstorbenem Kind
Erblasserin A stirbt. Zum Zeitpunkt ihres Todes lebt von ihren beiden Kindern nur noch K1. K2 ist bereits vorverstorben und hinterließ zwei im Zeitpunkt des Todes von A noch lebende Kinder E1 und E2. Diese treten in das Erbrecht des vorverstorbenen K2 in dem Umfang ein, in dem es neben dem Erbteil des noch lebenden K1 besteht. K1 erbt folglich zu ½, E1 und E2 teilen sich die andere Hälfte auf und erben zu ¼. Der Nachlass wird hier also gleichmäßig nach Stämmen aufgeteilt.
Erbfolge nach der zweiten Ordnung
Erblasserin A stirbt unverheiratet und kinderlos. Zum Zeitpunkt ihres Todes leben beide Eltern sowie zwei Geschwister noch. Hier schließen beide Eltern der A ihre weiteren Kinder von der Erbfolge aus und erben allein und jeweils zur Hälfte.
Erbfolge nach der zweiten Ordnung mit Eintrittsrecht eines Halbgeschwisters
Erblasser A stirbt unverheiratet und kinderlos. Zum Zeitpunkt seines Todes lebt noch seine Mutter, seine leibliche Schwester sowie ein Halbbruder aus der ersten Ehe seines vorverstorbenen Vaters. Die Mutter erbt in diesem Fall die Hälfte. Beide Geschwister des Erblassers, auch der Halbbruder treten hier in die Erbenstellung des vorverstorbenen Vaters ein und erben zu je ¼. Hier greift das sogenannte „Linienprinzip“ ein, wonach ohne Ansehung des Verwandtschaftsgrades alle Abkömmlinge des vorverstorbenen Elternteils in dessen Position eintreten. Sollten keine Abkömmlinge des vorverstorbenen Elternteils mehr vorhanden sein, fällt das Erbe in Gänze beim überlebenden Elternteil, hier also der Mutter an.
Erbrecht überlebender Ehegatten
Überlebende Ehegatten erben neben Verwandten der ersten Ordnung grundsätzlich ein Viertel des Nachlasses (gem. § 1931 Abs. 1, 2 BGB), neben Verwandten der zweiten und dritten Ordnung zu je ½. Das gesetzliche Erbrecht zugunsten verheirateter Lebenspartner bestimmt gilt dabei nach der Öffnung der „Ehe für alle“ unabhängig davon, ob es sich um Eheleute gleichen oder verschiedenen Geschlechts handelt. Das Erbrecht für eingetragene Lebenspartner:innen ist in § 10 des LPartG gleichlautend geregelt.
Haben die Eheleute im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt, erhöht sich de Erbquote des überlebenden Teils gem. § 1371 Abs. 1 BGB um ein weiteres Viertel am Nachlass.
Beispiel zum Ehegattenerbrecht
Die Erblasserin hinterlässt bei ihrem Tod zwei Kinder K1 und K2 und ihren Ehemann E, mit der sie im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt hat. E erbt grundsätzlich als Ehegatte zu ¼. Durch den hier erbrechtlich herbeigeführten Güterausgleich erhöht sich dieser Anteil um ein weiteres Viertel auf ½. K1 und K2 steht zusammen die andere Hälfte des Nachlasses zu. Sie erben mithin zu je ¼.
Besonderheit bei Eheleuten: Recht auf den „gesetzlichen Voraus“
Eine Besonderheit besteht zudem im Recht der Ehegattin oder des Ehegatten auf den gesetzlichen Voraus gem. § 1932 BGB. Dies ist ein schuldrechtlicher Anspruch gegen die übrigen Erbenden auf Herausgabe von Gegenständen des ehelichen Haushalts sowie von Hochzeitsgeschenken. Der oder die überlebende Ehegatte, Ehegattin soll den ehedem gemeinsamen Haushalt auch alleine fortführen können.
Kein Erbrecht bei Scheidung
War die Ehe vor dem Erbfall geschieden oder lagen die Voraussetzungen einer Scheidung zu diesem Zeitpunkt vor, und war bereits ein Scheidungsantrag gestellt, ist das gesetzliche Ehegattenerbrecht ausgeschlossen (§ 1933 BGB).
Soll ich überhaupt ein Testament verfassen?
Wie gezeigt, sieht der Gesetzgeber eine ausführliche und nach allgemeiner Auffassung auch angemessene Nachlassverteilung im Falle einer fehlenden Individualregelung vor. Die Frage, wer die eigene Rechts- und Vermögensnachfolge antreten soll, betrifft allerdings den höchstpersönlichen Bereich rechtlicher Selbstbestimmung und sollte keinesfalls unüberlegt gelöst werden. Um auch komplizierten Familienstrukturen gerecht zu werden, empfiehlt sich eine eingehende Auseinandersetzung mit der Nachfolgeplanung und eine passgenaue Lösung. Selbst wenn diese dann der gesetzlichen Variante entspricht, sollte stets auch das Verfassen eines Testaments in Betracht gezogen werden, allein um mögliche Unklarheiten bei der Nachlassverteilung zu vermeiden.