Das Wichtigste in Kürze:
- Eine vollständige Enterbung ist im deutschen Erbrecht grundsätzlich nicht vorgesehen und ist nur in krassen Ausnahmefällen möglich.
- Das Pflichtteilsrecht stärkt das verfassungsrechtliche Prinzip der Familiensolidarität.
- Das Pflichtteilsrecht verschafft Personen, die trotz gesetzlichen Erbrechts nicht als Erbende eingesetzt werden einen schuldrechtlichen Mindestanspruch auf Beteiligung am Nachlass in Geld.
- Der Pflichtteilsanspruch beträgt grundsätzlich die Hälfte der Höhe des gesetzlichen Erbrechts.
- Der Pflichtteilsanspruch muss gegenüber den Erbenden geltend gemacht werden
Die oder der Erblassende kann über sein Vermögen nicht nur zu Lebzeiten, sondern auch über ihren bzw. seinen Tod hinaus grundsätzlich nach eigenem Gutdünken verfügen. Die gesetzliche Erbfolge tritt nur ein, soweit nicht die oder der Erblassende nach ihren oder seinen individuellen Vorstellungen durch Verfügung von Todes wegen (Testament oder Erbvertrag) etwas anderes bestimmt hat.
Die oder der Verfügende macht dabei von ihrer bzw. seiner «Testierfreiheit» Gebrauch. Anders als im gesetzlichen Erbrecht müssen dabei die eigenen Angehörigen nicht zwangsläufig bedacht werden. Die «negative Testierfreiheit» umfasst vielmehr die Möglichkeit, auch nahe Verwandte, wie beispielsweise die eigenen Kinder in einem Testament nicht zu bedenken bzw. diese als Erbende ausdrücklich auszuschließen.
Da aber der grundgesetzliche Schutz der Familie in Art. 6 GG und die gesetzgeberischen Wertungen eines «Familienerbrechts» („das Gut rinnt wie das Blut“) nicht völlig durch den Erblasser:innenwillen unterlaufen werden sollen, gibt es im deutschen Erbrecht das Pflichtteilsrecht. Das Pflichtteilsrecht garantiert deshalb selbst im Falle einer im Einzelfall geregelten «Enterbung» eine Mindestbeteiligung der unmittelbaren Verwandten (der Abkömmlinge, Ehegatten, Eltern) der Erblasserin oder des Erblassers. Dabei folgt das Pflichtteilsrecht dem verfassungsrechtlichen Prinzip der «Familiensolidarität», wie es sich zum Beispiel in den Unterhaltsregelungen des Familienrechts widerspiegelt.
Das Pflichtteilsrecht garantiert den nächsten Angehörigen einer verstorbenen Person dabei kein «echtes» Erbrecht. Sie werden also nicht «Erbende». Allerdings erhalten die zum Pflichtteil Berechtigten einen eigenen Geldanspruch gegen die Erbenden in Höhe eines Mindestanteils am Nachlass.
Wer ist zum Pflichtteil berechtigt?
Der zum Pflichtteil berechtigte Personenkreis ist sehr eng gestaltet. Gem. § 2303 umfasst er Abkömmlinge sowie Eltern und (gleich- oder andersgeschlechtliche) Lebens- oder Ehepartner der Erblasserin oder des Erblassers. Stiefkinder sind nur für den Fall einer Adoption zu Lebzeiten pflichtteilsberechtigt. Unter «Abkömmlingen» versteht das Gesetz alle Personen, die mit der Erblasserin oder dem Erblasser in gerader Linie verwandt sind.
Wie hoch fällt der Pflichtteil aus?
Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des Erbteils, der dem oder der Pflichtteilsberechtigten nach dem gesetzlichen Erbrecht zusteht. Dieser ist abhängig von der Quote, die den jeweiligen Personen nach der gesetzlichen Erbfolge zustehen würde. Dabei sind die nach dem gesetzlichen Erbrecht Berechtigten in diese Quote miteinzubeziehen, auch wenn andere Berechtigte zum Beispiel nicht von ihrem Pflichtteilsanspruch Gebrauch machen.
Worin liegen die Unterschiede zwischen Erbe und Pflichtteilsanspruch?
Ist jemand zum Pflichtteil berechtigt, so erhält er einen schuldrechtlichen Anspruch auf den Pflichtteil. Ein solcher Pflichtteilsanspruch unterscheidet sich dabei grundsätzlich von einem Erbe:
Erlangt eine Person durch individuelle letztwillige Verfügung (also z.B. durch Testament) oder von Gesetzes wegen ein Erbrecht, so geht der ihr zufallende Teil des Nachlasses unmittelbar mit dem Erbfall (Tod der Erblasserin bzw. des Erblassers) auf sie über.
Der Anspruch auf den Pflichtteil entsteht zwar auch gleichzeitig mit dem Erbfall; er muss allerdings aktiv von der zum Pflichtteil berechtigten Person gegenüber dem Kreis der Erben geltend gemacht werden. Das Erbrecht ist seinem Inhalt nach auf sämtliche Nachlassgegenstände, also z.B. auch Immobilien, gerichtet, die sich zum Zeitpunkt des Erbfalls im Vermögen der Erblasserin oder des Erblassers befunden haben. Der Pflichtteilsanspruch ist dagegen nur auf Auszahlung in Geld gerichtet.
Wie setze ich meinen Pflichtteilsanspruch durch und gegen wen?
Der Anspruch auf den Pflichtteil wird gegenüber den Erbenden geltend gemacht. Sie treten im Wege der Universalsukzession in die Rechtsstellung der Erblasserin oder des Erblassers ein. Wie jeder schuldrechtliche Anspruch unterliegt dabei auch der Pflichtteilsanspruch der Verjährung. Er unterliegt gemäß § 2317 BGB der sogenannten Regelverjährung von drei Jahren. Diese beginnt mit Abschluss des Jahres zu laufen, in dem die oder der Pflichtteilsberechtigte vom Eintritt des Erbfalls und der Nichtberücksichtigung als Erbende:r erfahren hat oder bei Anwendung der verkehrsüblichen Sorgfalt Kenntnis hiervon hätte gehabt haben müssen.
Woher weiß ich, was mir als Pflichtteil zusteht?
Pflichtteilsberechtigte werden, da sie nicht zu den Erbenden gehören, nicht selten von einer genaueren Kenntnis des Nachlasses ausgeschlossen. Dies führt zur Schwierigkeit, dass sich aus ihrer Sicht der Pflichtteilsanspruch nicht genau beziffern lässt.
Den Pflichtteilsanspruch begleitet aus diesem Grund ein Auskunftsrecht gegenüber den Erben, um dieses Wissensungleichgewicht zu beheben. Die Erbinnen haben ein ausführliches Nachlassverzeichnis zu erstellen. Zweifelt die oder der Pflichtteilsberechtigte an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieses Nachlassverzeichnisses, kann er von den Erbenden fordern, die Richtigkeit eidesstattlich zu versichern.
Die oder der Pflichtteilsberechtigte kann von den Erbenden fordern, eine Bewertung der Nachlassgegenstände durch einen Sachverständigen in Auftrag zu geben, damit eine zutreffende Ermittlung der Höhe des Pflichtteilsanspruchs gewährleistet ist.
Ist die oder der Pflichtteilsberechtigte auf die gerichtliche Durchsetzung des Pflichtteilsanspruchs angewiesen, so geschieht dies in der Regel im Wege einer Stufenklage. Sie beinhaltet auf erster Stufe die Durchsetzung des Auskunftsanspruchs. Auf zweiter Stufe wird dann der Pflichtteilsanspruch eingeklagt, der auf Grundlage der zuvor erhaltenen Auskünfte berechnet werden kann.